Die Phosphorkrankheit (engl. Phossy Disease) - Rückkehr einer Berufskrankheit als Medikamentennebenwirkung

Toxikologie
Weißer Phosphor ist eine hochgiftige Substanz. Die letale Dosis für Erwachsene ist 50 mg, für Kinder entsprechend geringer. Trockener weißer Phosphor entzündet sich selbständig an der Luft und verbrennt mit einer Temperatur von ca.1200°C. Die dabei als weißer Rauch entstehenden Phosphoroxide reagieren auf den Schleimhäuten zu stark ätzender Phosphorsäure. Beim Einatmen des Rauches sowie auch von Dämpfen bei der Verarbeitung von weißem Phosphor in nicht selbständig entzündlichen Gemischen mit anderen Stoffen und auch durch die Haut können beträchtliche Mengen Phosphor in den Körper des Menschen gelangen. Neben Lungen- und Leberschäden treten vor allem im Unterkieferbereich schlecht heilende Knochenentzündungen auf, Zähne werden locker und gehen verloren, übelriechender Gestank zerfallenden Gewebes umgibt die bedauernswerten Kranken.
Weißer Phosphor verhindert dabei die Tätigkeit der Osteoklasten, die für den Knochenabbau verantwortlich sind. Nekrotische (abgestorbene) Bereiche im Knochen können nicht mehr beseitigt werden und entzünden sich durch über Zähne und Zahnfleischsaum eingewanderte Mundbakterien.
Da im Unterkiefer im Gegensatz zu anderen Knochen höhere Auf- und Abbauvorgänge an Knochen stattfinden, lagert sich weißer Phosphor dort bei Exposition in besonderem Maße an. Wenn die chronische Vergiftung, deren Letalität (Sterblichkeit) 20% ausmacht, einige Zeit überlebt wird, so können natürlich auch im Oberkiefer die Entzündungen auftreten.  

(Brandunfälle und Vergiftungen treten derzeit immer wieder unter Bernsteinsuchern an der Ostseeküste auf, vor allem auf Usedom. Aus zerfallenden Stabbrandbomben angespülter weißer Phosphor läßt sich optisch nicht von Bernstein unterscheiden. Solange er feucht ist, brennt er nicht, erst nach dem Trockenwerden entzündet er sich selbständig, oft in der Hosentasche der Strandbesucher. Vor dem Bersteinsuchen an der Wasserlinie sei daher eindringlich gewarnt!) 

Die Berufskrankheit "Vergiftung mit weißem Phosphor" 
Die Zündholzherstellung erfolgte zunächst mit einem Substanzgemisch im Zündkopf, welches weißen Phosphor enthielt, der aufgrund der Zusammensetzung der Stoffe sich zwar nicht von ganz allein, aber doch sehr leicht entzündete, sobald man den Zündkopf an einer rauhen Oberfläche rieb, z. B. an einer Hauswand oder der Schuhsohle. Oft kam es jedoch vor, daß sich die Hölzer beim Tragen in der Hosentasche durch die Reibung aneinander entzündeten.
Dies und die bald erkannte Giftigkeit des weißen Phosphors bei der Benutzung der Hölzer, insbesondere aber bei ihrer Herstellung, führte schon 1844 zur Erfindung von Sicherheitszündhölzern, bei denen sich im Zündkopf überhaupt kein Phosphor mehr befindet, sondern in der Reibefläche an der Schachtel, und zwar der ungiftige rote Phosphor.
(Diese Sicherheitszündhölzer werden noch heute verwendet.)
Es dauerte leider bis 1906, als mit der Berner Konvention weißer Phosphor bei der Zündholzherstellung verboten wurde, denn roter Phosphor ist wesentlich teurer als weißer Phosphor. (Um weißen Phosphor in seine rote Modifikation zu überführen, muß er bei 260°C unter Luftabschluß mehrere Stunden erhitzt werden.)
Immerhin folgte die deutsche Zündholzindustrie im Jahre 1912 dem Verbot, nicht aber der in Jönköping in Schweden ansässige Tycoon der Zündholzindustrie, Ivar Kreuger (geb. 1880, gest. 1932).
Ivar Kreuger erwarb mit Hilfe riesiger Kredite, die er in den damaligen reichen Industrieländern aufnahm, und die er vielen ärmeren Ländern weltweit wiederum als Darlehen ausreichte, im Gegenzug die dortigen staatlichen Zündholzmonopole. An Sicherheiten hinterlegte er bei den Gläubigern Obligationen seines Firmenimperiums.
Auf diese Weise riß er 1930 auch das deutsche Zündholzmonopol an sich, da Deutschland nach dem Weltkriege 1914-1918 und nachfolgender Hyperinflation dringend auf Kredite angewiesen war.
Die hochriskanten Finanzkonstrukte erforderten in Kreugers Fabriken eine kaum zu realisierende Umsatzrendite- den Preis dafür zahlten seine Arbeiter!
Ohne jeglichen Atemschutz mußten die Arbeiterinnen, denn meist waren es Frauen, die Hölzchen in die phosphorhaltige Masse tauchen. Schon nach kurzer Zeit waren sie chronisch vergiftet und krank. Dann mußten die Kinder die Arbeit tun und für ihre kranken Eltern aufkommen.
Der Besucher des Zündholzmuseums in Jönköping erhält in lebensgroßen Dioramen einen realistischen Einblick in die damaligen Lebensumstände der Arbeiter. Für die kurze Zeit des Besuches wird man Teil einer Arbeiterfamilie, bei der der Vater hustend im Bett liegt, während Mutter und Kinder Zündhölzer herstellen, 12 und mehr Stunden am Tag bei einer Bezahlung, die zum Überleben kaum reichte.
Im Vorführraum des Museums kann sich der Besucher einen Film ansehen, in dem u.a. davon berichtet wird, daß Ivar Kreuger verlangte, daß bei Eintritt in seine Fabrik den Arbeiterinnen und Arbeitern, sogar den Kindern, zuvor sämtliche Zähne zu entfernen seien!
Damit könne man den Unterkieferentzündungen bei der Phosphorvergiftung vorbeugen und die Arbeiter möglichst lange arbeitsfähig halten- so Kreugers Auffassung!
Mein Besuch im Museum im Jahre 1998 vermittelte mir auf diese Weise die ersten schockierenden Informationen über die Vergiftung mit weißem Phosphor.

(Die ersten Berichte über vergleichbare Medikamentennebenwirkungen erfolgten erst im Jahre 2003 (s.u.)).
Als Zahnarzt sind einem die Konsequenzen eines vollständigen Zahnverlustes bereits im Kindes- und Jugendalter natürlich bewußt und auch, daß ein prinzipieller Unterschied darin besteht, ob der Zahnverlust so frühzeitig oder erst mit beispielsweise 70 Jahren erfolgt.

Bei einem derartigen Maß an Menschenverachtung des Ivar Kreuger nimmt es nicht Wunder, daß er zugleich zu den wichtigsten ausländischen Geldgebern der NSDAP in Deutschland gehörte.
Im Jahre 1932 war Deutschland im Zuge der Weltwirtschaftskrise bankrott und konnte seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Magnaten Kreuger nicht mehr nachkommen. Kreugers Finanzkonstrukt und damit sein Firmenimperium brachen zusammen, Kreuger erschoß sich.
Sein Zündholzmonopol jedoch hatte in Deutschland bis ins Jahr 1983 Bestand!
(Quelle: Museumsbesuch 1998, teilweise Wikipedia)

Zahnärztliche Betreuung von Patienten mit Bisphosphonattherapie
Natürlich sind die Nebenwirkungen der Bisphosphonate nicht mit denen einer Vergiftung mit weißem Phosphor gleichzusetzen, gleichwohl aber verhindern auch Bisphosphonate wie weißer Phosphor die Tätigkeit der Osteoklasten, der Zellen im Knochen, die abbauende Funktion haben.

(Im Normalfall mineralisiert Knochen, indem Pyrophosphat durch die alkalische Phosphatase (ein Enzym) in einzelne Phosphatreste gespalten wird. Das verringerte Löslichkeitsprodukt läßt den Hydroxylapatit im Knochen aus der wäßrigen in die Kristallphase wechseln, d.h. auskristallisieren. Diese physiologisch vorhandenen Phosphatreste können bei Bedarf durch die Osteoklasten mit Hilfe eines durch sie erzeugten sauren Milieus problemlos wieder aus dem Hydroxylapatit gelöst werden. Phosphonate hingegen lagern sich zwar wie Phosphate in den Hydroxylapatit in kovalenter Bindung ein, sind aufgrund ihrer von Phosphaten verschiedenen chemischen Struktur (Phosphor- Kohlenstoff- Bindung anstelle Phosphor- Sauerstoff- Bindung)  aber nicht mehr durch die Osteoklasten herauslösbar. Ihre Halbwertszeit ist durch die kovalente Bindung an das Hydroxylapatit des Knochens ziemlich lang und kann je nach Medikament Monate bis Jahre betragen.)

Die Verhinderung von Knochenabbau ist das Therapieziel bei der Bisphosphonatmedikation. Krankheiten, die mit einem verstärkten Knochenabbau einhergehen- Osteoporose, M. Paget, verschiedene Tumoren (Mamma, Prostata, multiples Myelom, Plasmozytom etc.)- werden zur Stabilisierung des Knochens und zur Erzielung einer positiven Gewebebilanz desselben ergänzend mit Bisphosphonaten therapiert. Seit etwa 1980 sind diese Medikamente dazu im Einsatz. An Nebenwirkungen wurden zuvörderst gastrointestinale Beschwerden, selten Fieber und Nierenschäden beschrieben.

Bisphosphonate können parenteral (intravenös) verabreicht werden, hauptsächlich bei Patienten mit malignen Tumoren:
Zolendrat (Zometa), Pamidronat (Aredia), Ibandronat (Bondronat).
Oral verabreichte Bisphosphonate sind z. B. Ibandronat (Bonviva), Alendronat (Fosamax), Risedronat (Actonel), Tiludronat (Skelid), Clodronat (Ostac, Bonefos), Etidronat (Didronel, Diphos); sie kommen hauptsächlich bei Osteoporose zum Einsatz.

Im Jahre 2003 erschienen erste Fallberichte von Kiefernekrosen im Zusammenhang mit Bisphosphonatmedikation. Vorausgegangen waren zumeist kieferchirurgische Eingriffe. Rasch stellte sich heraus, daß vor allem Patienten betroffen waren, die Bisphosphonate in hoher Dosierung parenteral über einen längeren Zeitraum verabreicht bekamen, was bei Patienten mit verschiedenen Tumoren der Fall war. Besonders gefährdet waren Patienten mit gleichzeitiger Bestrahlung im Kopf- Hals- Bereich, ferner mit immunsuppressiver und/ oder Kortikoid- Therapie.
Patienten mit Osteoporose stellten hingegen nur einen kleinen Teil der entsprechenden Fallberichte dar, was auf die hierbei geringere Dosierung zurückzuführen ist. 
Seit der Fokussierung der Aufmerksamkeit auf diese schwerwiegende Nebenwirkung der Bisphosphonate erschienen später auch Fallberichte von Kiefernekrosen ohne Zusammenhang mit kieferchirurgischen Behandlungen. Schon Prothesendruckstellen waren der Auslöser, auch in vollständig unbezahnten Kiefern.  

Klinisch stellt der Zahnarzt beim Vorliegen einer bisphosphonatassoziierten Kiefernekrose zumeist freiliegenden Knochen ohne Tendenz zur Heilung fest. Seine Konsistenz ist grau und grieselig. Im Röntgenbild sind oft persistierende Alveolen zu erkennen- auch Monate bis Jahre nach einer Zahnentfernung bleiben die Zahnfächer stehen und werden nicht mit Knochen aufgefüllt.

Zur Prophylaxe dieser Kiefernekrosen sollten idealerweise vor Beginn einer Therapie mit Bisphosphonaten sämtliche entzündliche Prozesse in den Kiefern nach röntgenologischer Untersuchung saniert werden. Zähne, deren Prognose unklar ist, sollten besser entfernt werden. Die Mund- und ggf. Prothesenhygiene sind zu optimieren. Prothesen müssen in einen einwandfreien Zustand gebracht werden, um Druckstellen zu vermeiden. Regelmäßige engmaschige zahnärztliche Kontrollen sind obligat. Das Inserieren von Implantaten sollte unterbleiben.

Bei bereits laufender Bisphosphonattherapie sollten unaufschiebbare invasive Maßnahmen in atraumatischer Operationstechnik durchgeführt werden. Es ist Antibiotikaprophylaxe erforderlich sowie sofern irgend möglich ein primärer Wundverschluß. Das Abpräparieren des Periosts (der Knochenhaut) sollte aufgrund der damit einhergehenden Minderung der Knochendurchblutung vermieden werden.
Da Bisphosphonate über Jahre an den Knochen gebunden bleiben, ist theoretisch es nicht sinnvoll, die Therapie wegen planbarer kieferchirurgischer Eingriffe zu unterbrechen.
In unserer praktischen Erfahrung aber hat ein Aussetzen der Therapie für 6 Monate vor einer Zahnextraktion noch in keinem Fall zur nachfolgenden Kiefernekrose geführt. Sofern es sich nicht um Tumorpatienten handelt, die auf die Bisphosphonate dringend angewiesen sind, sollte nach unserer Ansicht dieser pragmatische Weg in Absprache mit den verordnenden Ärzten beschritten werden.

Die Therapie einer bereits manifesten Kiefernekrose kann nach derzeitigem Kenntnisstand nur in der vollständigen Ausräumung des nekrotischen Knochens und mit nachfolgendem primärem Wundverschluß bestehen. Das Operationsgebiet muß zudem mechanisch geschont werden (Flüssignahrung, Prothesenkarenz). Oft aber gelingt auch nach Exzision im scheinbar gesunden Knochen kein stabiler Wundverschluß (eigene Fallbeobachtung in Zusammenarbeit mit einer kieferchirurgischen Klinik).

(Quellen: K.A. Grötz, T. Kreusch DZZ 60, 10/2006 und eigene klinische Beobachtungen)