Ambulante zahnmedizinische Chirurgie
Thema des Beitrags 11/2012 ist
die chirurgische Zahnerhaltung - eine wichtige und häufige
Maßnahme in der ambulanten zahnärztlichen Praxis. Weitaus
häufiger aber sind noch immer, wenngleich mit abnehmender Tendenz,
die Zahnextraktionen.
Die Gründe zur Entfernung von Zähnen sind vielfältig;
manchmal ist die Indikation zur Zahnentfernung eindeutig zu stellen,
manchmal aber ist die Abwägung weitaus schwieriger als die
Extraktion selbst.
Indikationen (Gründe) zur Zahnextraktion können die folgenden sein:
-tiefe kariöse Zerstörung von Zähnen
mit oder ohne akute oder chronische Pulpa- und Knochenentzündung,
mit oder ohne einhergehende Schmerzen, wenn Maßnahmen der
konservierenden und chirurgischen Zahnerhaltung nicht
erfolgversprechend sind oder bereits ein Behandlungsmißerfolg
vorliegt
-fortgeschrittener Befestigungsverlust
und Knochenabbau, wenn Maßnahmen der Zahnerhaltung und
gesteuerten Geweberegeneration (s. Beiträge 8/2011 und 11/2011)
ausgeschöpft sind oder nicht mehr sinnvoll erscheinen
-Zähne außerhalb der Zahnreihe,
die nicht eingeordnet werden können oder sollen, dazu gehören
auch retinierte Zähne, insbesondere Weisheitszähne (und in
geringerem Umfang Eckzähne), die im Kiefer liegen und zur
Zystenbildung führen und bei denen die Einordnung in die Zahnreihe
und deren Kaufunktion aus Platzgründen oder wegen deren Lage im
Kiefer nicht erwartet werden kann
-traumatisch geschädigte Zähne
im Bruchspalt von Kieferbrüchen, mit intraalveolärer
Zahnfraktur im mittleren Wurzelbereich, bei Zahnlängsfrakturen,
herausgeschlagene Milchzähne, die im Gegensatz zu bleibenden
Zähnen unter keinen Umständen replantiert werden dürfen
-Zähne, die die Anfertigung von Zahnersatz in erheblichem Maße behindern würden
-zum Zwecke der Platzbeschaffung bei starkem Platzmangel im Zuge einer kieferorthopädischen Behandlung
-Zähne, die zur permanenten Traumatisierung von Weichteilen
führen, die anders nicht behoben werden kann (Hierunter fallen z.
B. einzelne Zähne bei bettlägerigen Patienten, wenn aufgrund
des Allgemeinzustandes eine Prothese nicht mehr getragen werden kann.)
-Sicherung der Behandlungsergebnisse in der Tumorchirurgie
Kontraindikationen:
Dazu zählen die verschiedensten schweren akuten/
chronischen Allgemeinerkrankungen, deren Erläuterung den Umfang
dieses Artikels sprengen würde. In manchen Fällen sind in
diesem Zusammenhang Zahnextraktionen nur unter stationären
Bedingungen möglich.
Eine unkompliziert verlaufende Schwangerschaft stellt keine absolute Kontaindikation dar,
allerdings ist es ratsam, geplante chirurgische Maßnahmen auf die
Zeit nach der Schwangerschaft zu verschieben, schon deshalb, weil die
Indikation zur Röntgendiagnostik in der Schwangerschaft besonders
kritisch zu stellen ist und auch, weil viele Medikamente (dazu
zählen auch Schmerzmittel und die meisten Antibiotika!) nicht
während der Schwangerschaft eingenommen werden dürfen.
Im Gegensatz zu früheren Ansichten ist das Risiko einer Osteomyelitis
(Knochenentzündung) bei Entfernung von schuldigen Zähnen
für ein akutes eitriges Geschehen (Abszeß) auch in dieser
hochakuten Phase nicht erhöht
gegenüber der subakuten oder chronischen Phase. Entsprechende
Studienergebnisse aus dem Jahre 1996 der Münchener Maximilian-
Universität lassen eher den Praktikern schon lange bekanten
Schluß zu, daß in den meisten Fällen die
frühzeitige Entfernung der Entzündungsursache die Heilung
stark beschleunigt. Lediglich bei schweren Allgemeinerkrankungen gelten
andere Maßstäbe.
Unangenehm ist die Entfernung von Zähnen im akut
entzündlichen Geschehen aber aufgrund der dann oft
unvollständig wirkenden Lokalanästhesie. Die Abwägung,
welche Maßnahmen in welcher Reihenfolge durchgeführt werden
sollen, muß daher immer individuell erfolgen.
Eindringlich
darauf hinzuweisen ist, daß Rauchen nach der Zahnentfernung ein
wichtiger Grund für Wundheilungsstörungen darstellt.
In den meisten Fällen ist die Verordnung von Antibiotika
im Zusammenhang mit Zahnextraktionen und sogar eitrigen Abszessen
überflüssig und dementsprechend aufgrund der Nebenwirkungen
schädlich - in der Bevölkerung hat ihr zu häufiger und
unkritischer Einsatz zur Bildung multiresistenter Bakterienstämme
geführt.
Durchführung und einige mögliche Komplikationen bei Zahnextraktionen:
Eine wichtige Methode zur knochenschonenden Zahnentfernung ist die Ögram- Technik
(benannt nach der Tochter des Erfinders und Biophysikers, allerdings
rückwärts gelesen und mit "o" statt mit "ö").
Neben der Verwendung anatomisch exakt geformter Instrumente für
die biophysikalisch sinnvolle Bewegung der zu extrahierenden Zähne
ist ein wichtiges Prinzip auch die Nutzung körpereigener Enzyme
zur Auflockerung des Zahnhalteapparates: Nach der primären
Luxation wird einige Zeit gewartet, im Periodont (Zahnhalteapparat)
wird indessen das Enzym Hyaluronidase von den Bindegewebszellen
freigesetzt, welches die Bindegewebsfasern auflöst. Hernach kann
der Zahn leicht entfernt werden, sofern nicht seine Wurzelform eine
Wurzeltrennung erfordert, deren Notwendigkeit zuvor
röntgenologisch abgeklärt werden sollte: 75% aller Molaren im
Oberkiefer bedürfen zum Zwecke der Entfernung der vorherigen
Wurzeltrennung, im Unterkiefer sind es 50%.
Da der Knochenschonung höchste Priorität eingeräumt wird
(denn der Knochen ist es, der dem Patienten verbleibt und nicht der
Zahn!), kann es durchaus vorkommen, daß die Entfernung des Zahnes
mit dessen Zerteilung in viele kleine Teile einhergeht, mitunter
sehr zur Verwunderung des Patienten.
Im Oberkiefer kann es zur Eröffnung der Kieferhöhle kommen,
die danach sofort plastisch verschlossen werden muß; andernfalls
verursachen die Bakterien aus der Mundhöhle rasch eine schwere
Sinusitis maxillaris (Kieferhöhlenentzündung).
Die operative Entfernung von Weisheitszähnen,
die vor allem nach Abschluß einer kieferorthopädischen
Behandlung zur Sicherung des Behandlungsergebnisses von den
Kieferorthopäden empfohlen wird, sollte am günstigsten
zwischen dem 18. und 20. Geburtstag erfolgen. Zuvor ist meistens das
Wurzelwachstum der Weisheitszähne erst in einem frühen
Stadium, so daß einerseits ein Druck auf die Zahnreihe nach vorn
noch nicht aufgebaut wird, zum anderen ist die Entfernung in diesem
frühen Stadium bei den Jugendlichen mit viel mehr Knochenverlust
als zum erwähnten späteren Zeitpunkt verbunden, was den
operativen Aufwand enorm vergrößert und die Wundheilung
langwieriger macht. Mit 18 Jahren hingegen haben die
Weisheitszähne die Knochenauflösung oft schon selbst
bewerkstelligt, so daß der Eingriff wesentlich kürzer und
schonender wird. Auch hierbei tragen die Prinzipien der Ögram-
Technik zur Knochenschonung bei. (Von "atraumatischer
Operationstechnik" zu sprechen, wäre jedoch übertrieben,
setzt doch schon jeder Schnitt mit dem Skalpell ein Trauma.)
Spätestens ab dem 25. Lebensjahr wird die operative
Weisheitszahnentfernung in vielen Fällen wieder schwieriger, da
der Knochen Elastizität verliert und härter wird.
Ein höherer operativer Knochenverlust ist die Folge.
(Selbstverständlich dürfen diese Informationen nicht
verallgemeinert werden, auch mit 18 Jahren kann eine sehr harte
Knochenkonsistenz vorliegen und auch mit 40 Jahren kann mitunter die
Operation nur Minutensache sein.)
Naturgemäß muß ein Beitrag zur ambulanten
zahnärztlichen Chirurgie auch Fragen der Replantation und
Transplantation von Zähnen beantworten, der Implantologie, der
kieferorthopädischen Chirurgie, der Traumatologie. Da dies
umfangreiche Fragestellungen sind, werden sie, ähnlich wie bereits
die chirurgische Zahnerhaltung in den noch auf der Website
einzustellenden Artikeln 1, 7, 8/2013 und 1/2014 separat
erörtert.
Bleiben Sie neugierig!